In der hügeligen Landschaft im Osten der andalusischen Provinz Almería liegen heute noch viele Dörfer und Städte in einem Dornröschenschlaf. Hier drehen die Leute ihren Kopf und lassen die Arbeit liegen, wenn ein unbekanntes Auto über die Dorfstraße fährt.
Wer als Tourist von der Küste weg in die Berge der Sierra Filabres und Sierra Alhamilla mit ihren kleinen Orten fährt, die fast alle maurische Namen tragen, kommt durch zauberhafte Landschaften. Nicht viel hat sich hier am Lebensrhytmus in den letzten Jahrhunderten verändert. In den Gassen blühen die Geranien, Kanarienvögel trällern aus den Fenstern und auf den Dorfplätzen spielen alte Männer Domino. Im Schatten der weinberankten Terrassen sitzen Bauern und schnitzen Heugabeln aus Olivenholz.
Die Sierra Filabres ist ein idealer Ort für ungestörte Wanderungen durch die Natur. Keine Menschenseele zu sehen, nur hier und da eine Ziegenherde, die sich vom struppigen Gras und Ginsterbüschen nährt. Vor den Bienenkästen der Imkerhütten tanzen Bienen, die Pollen von Kakteenblüten, Rosmarinbüschen, wildem Thymian oder Salbei sammeln.
Außer dem Rauschen des Windes und ein paar pfeifenden Schwalben ist nichts zu hören als ohrenbetäubende Stille. Ein Paradies für Menschen, die im Urlaub der Zivilisation ein wenig den Rücken kehren wollen.
Einsame Höhenwege auf Bergkuppen mit Blick aufs Mittelmeer
Im Hochland der Sierra Filabres und Alhamilla gibt es viele vergessene Wege, die mittlerweile auch als Wanderwege ausgeschildert sind, aber kaum von Touristen genutzt werden. Wie der Sendero las Moletas (SL-A 17), der zwei typische Pueblos Blancos, weiße Dörfchen, miteinander verbindet. Von El Campico führt der etwa 7 Kilometer lange Weg bis nach El Chive auf 600 Meter hohen Bergkämmen entlang. Früher ritten hier Bauern auf Eseln oder gingen zu Fuß. Wer vom Dorf in die Stadt Lubrín wollte, musste sich schon im Morgengrauen auf den Weg machen, um am Abend wieder zu Hause zu sein.
Ein beliebter Rundweg ist die Ruta del Agua im Bergdorf Bedar, was an der Ostseite der Sierra Filabres liegt.
Viele asphaltierte Straßen wurden in den steil ansteigenden Bergen und tiefen Tälern erst in den 1970er Jahren angelegt. Bis dahin waren die trockenen Flusstäler oder die alten Höhenwege die einzigen Verbindungen zwischen den Orten. Entlang der Pfade finden sich viele merkwürdige Steintürme, die als Wegmarkierungen dienen.
In Spanien ist es üblich, Wanderwege für andere Wanderer auf diese Weise zu kennzeichnen. Wer Lust hat, legt selbst noch ein Steinchen oben drauf, so bleiben die Türmchen immer erhalten und wachsen weiter in die Höhe.
Sternenhimmel unter Schutz - Dunkelheit einzigartig in Europa
Die Sierra Filabres und die gesamte Levante Almeriense genannte Zone im Südosten Spaniens zählt zu den wohl am dünnsten besiedelten Landstrichen der Iberischen Halbinsel. Im Hinterland von Almeria gibt es so wenige Ortschaften, dass der Nachthimmel zu den dunkelsten in ganz Europa gehört. Die Sterne und Planeten des sonst rabenschwarzen Himmels von Almería leuchtet so prächtig, dass die Sterne einem aufs Dach zu fallen scheinen. Diese so selten gewordene Dunkelheit wissen auch Astrologen zu schätzen. Auf 2.168 Metern, dem höchsten Punkt in der Provinz Almería, wurde die Sternwarte Calar Alto errichtet – ein deutsch-spanisches Forschungsprojekt. Hier wird nach fernen Galaxien gespäht, werden Kometen, Asteroiden und sogar neue Planeten entdeckt.
Die andalusische Provinzregierung hat den Himmel in der Sierra Filabres mittlerweile unter Schutz gestellt und die Gemeinden dazu verdonnert, so wenig wie möglich Licht zu machen. Calar Alto liegt eingebettet in der größten Schutzzone Europas gegen Lichtverschmutzung. Das Gebiet umfasst 3.788 Quadratkilometer - viel Platz für ungestörte Sternbeobachtungen.
Berglandschaft in Meeresnähe - Tolle alte Wanderwege und Pfade
Die Bergkette der Sierra Filabres erstreckt sich parallel zur Küste,die hier im Osten Andalusiens Costa de Almería heißt. Bekanntere Urlaubsorte sind das Partydorf Mojácar oder der traumhafte Naturpark Cabo de Gata mit einer zerklüfteten naturbelassenen Küste,die von Vulkanen übersät ist (nicht aktiv!). Bis in die Berge der Sierra Filabres ist es von der Küste eine gute halbe Stunde mit dem Auto. Doch die Fahrt lohnt sich.Wirkt die Landschaft auf den ersten Blick karg und trocken, entdeckt man beim näheren Hinsehen die erstaunliche Vielfalt der Flora und Fauna.
Neben den Oliven- und Mandelbäumen, die auf abenteurlich angelegten Hängen wachsen, gedeihen Zwergpalmen, wilde Brombeeren, Johannisbrotbäume und alle wilden Mittelmeerkräuter wie Rosmarin, Thymian,Salbei und Majoran. Am Abend sollte man etwas vorsichtiger sein, dann können schon einmal Wildschweine den Weg kreuzen, die aber menschliche Gesellschaft doch lieber meiden. Wildschweine werden hier im Winter gern gejagt. In der Buschlandschaft gibt es außerdem viele Kaninchen, Rebhühner und etliche Raubvögel wie Sperber und Steinadler, die hier heimisch sind.
Dörfer mit Bergbautradition – Bodenschätze machten Region reich
Außer Wanderungen durch die alte bäuerliche Kulturlandschaft mit den von Mauren angelegten Terrassenfelden und ausgetüftelten Bewässerungskanälen gibt es interessante Spuren aus der Vergangenheit zu entdecken. So war und ist die Region reich an wichtigen Bodenschätzen, die schon vor gut 5.000 Jahren gefunden und verwertet wurden. Reste der vielen Kupferminen und Ausgrabungen aus der Bronzezeit finden sich auf einsamen Hügeln. Südspanien wurde schon lange vor der Antike wegen seiner kostbaren Metalle von Eroberern besetzt. Phönizier, Iberer, Römer,Griechen, Karthager, Araber, Westgoten – alle ließen hier edle Metalle aus den Bergen holen.
In der Sierra Filabres wurde bis ins 19. Jahrhundert hinein in großen Umfang Bergbau betrieben. Im ehemaligen Bergwerkstädtchen Bédar, das auf 400 Metern Höhe liegt und einen grandiosen Blick über das Mittelmeer bietet, sind noch viele alte Minen und Bergstollen zu entdecken. Hier wurde bis 1924 unter Tage Blei und Kupfer aus der Erde geholt. Es führen zahlreiche schöne Wanderwege durch die mit Pinien bewachsene Landschaft der Sierra de Bédar. Der Ort selbst ist recht lebendig, mit vielen Kneipen und Bars, wo an Wochenenden Live-Musik gespielt wird.
Fast jedes Dorf in dieser Gebirgslandschaft der Sierra Filabres kann seine "Bodenschätze" aufweisen. Rund um Macael oder Rambla Al Ajjibe wird bis heute in großen Steinbrüchen Marmor aus den Bergen gebrochen. Das edle Gestein wurde bis in die Alhambra nach Granada transportiert, so hervorragend war die Qualität.
In Serón wird der wohl beste Schinken in der Provinz Almeria produziert. Hier sind zahlreiche Schlächtereien ansässig. Im Ort selbst kann man ein altes Castillo aus dem 13. Jahrhundert und die als historisch und kulturell wertvolle Kirche aus dem 17. Jahrhundert besuchen. Vom Castillo aus hat man einen weiten Blick auf das Tal Almanzora.
In Lucainena de las Torres sind noch alte Brennöfen zu sehen, die wie an einer Kette aufgereiht einen Berghang hinaufführen. Mit einer Bergbahn wurden die Bodenschätze mit Seilbahnen oder Eisenbahnen zur Küste transportiert. Eisenerz, Blei, Silber, Zinn oder eben Marmor wurden in vielen Regionen um Almería abgebaut und per Schiff in die ganze Welt, vor allem aber in die USA gebracht. Hafenstädte wie Garrucha oder auch Aguamarga hatten eigene Rampen, von wo die Rohstoffe auf Schiffe verladen wurden.
Bergwerkstädte in der Sierra Filabres
- Bédar
- Lubrín
- Seron
- Macael
- Lucainena de las Torres
In Kleinstädten wie Lubrín oder Bédar kann man noch Spuren der einstigen Blütezeit aus dieser Epoche erkennen. Während sonst viele Häuser in diesem Teil maurisch geprägten Teil Andalusiens eher schlicht sind, wirken die Stadthäuser in den Bergwerksregionen regelrecht bürgerlich.
Charmante verschlafene Städtchen in der Sierra Filabres
Heute sind die meisten der bis vo rund 80 Jahren lebendigen Orte verschlafene Nester, die aber ihren Charme bewahren konnten und eine wohltuende Ruhe und Gelassenheit ausstrahlen. Das kleine Kreisstädtchen Lubrín mit blüht nur an den Markttagen oder im Sommer richtig auf, wenn die vor Jahren weggewanderten Familien zurück zu den Daheimgeblieben kehren. Viele Andalusier sind der Arbeit in den 70er Jahren nach und in die großen Metropolen nach Barcelona, Madrid oder ins reiche ins Baskenland gezogen. Doch sie kehren immer gern zurück, und dann gleich mit der ganzen Familie, die inzwischen anderswo noch größer geworden ist.
Andalusische Feierlaune - Zur Fiesta de Pan fliegen Teigkringel aus den Fenstern
Im Sommer wird in den Dörfern und Städten der Sierra Filabres fast an jedem Wochenende gefeiert. In der zweiten Augustwoche zelebriert man in Lubrín die "Fiesta del Emigrante" (Fest des Auswanderers),zu dem Tausende von Lubrinenser, die in der ganzen Welt verstreut leben, für zwei Wochen in ihre Heimatstadt zurückkehren. Nun erwacht die Stadt mit ihren rund 1.000 Einwohnern plötzlich aus ihrem Dornröschenschlaf. Rund 3.000 Wiederkehrer lärmen lachend und feiernd durch die Gassen.
Wer die andalusische Feierlaune kennt, versteht auch,warum sich in so kleinen Ortschaften Lubrín gleich ein ganzes Dutzend von Bars und Restaurants über Wasser halten können. Im Sommer nehmen die Gastwirte so viel ein, dass sie das ganze Jahr davon zehren.
Mehr Infos zu spanischen Fiestas und Traditionen findet ihr in diesem Artikel.
Ein anderes beliebtes regionales Fest ist die"Fiesta de Pan" (Brotfest) zu Ehren des Stadtheiligen San Sebastian. Am 20.Januar stellen sich die Bewohner von Lubrín und den umliegenden Dörfern auf ihre Terrassen, Balkone oder Fenster und werfen einer wild-gewordenen Menschenmenge Brotkringel zu. Es entspinnt sich ein regelrechter Wettbewerb, wer die meisten Brotkringel fangen kann.Touristen können sich gern unter die Einheimischen mischen und mitmachen.
Spektakuläre Höhlenlandschaften - einzigartig in Europa
Im Herzen der Region befindet sich eine weitere spektakuläre Naturlandschaft. Der Naturpark Karst en Yesos bei Sorbas zählt zu den bedeutendsten Karstlandschaften Europas. Hier haben sich auf 12 Quadratkilometern rund 1.000 unterirdische Hohlräume im Kalkstein gebildet, wo sich weitverzweigte Höhlensysteme befinden. Diese Hohlräume liegen mitunter in bis zu 7 porösen Gesteinsschichten und sind miteinander unterirdisch verbunden.
Beeindruckende riesige Stalagmiten und Stalaktiten haben sich über Jahrtausende im durch die Kalksteinschichten sickernde Regenwasser gebildet. Viele Höhlen sind touristisch nicht erschlossen. Für einen Besuch bietet sich die Cueva de Aguas bei Sorbas deshalb am ehesten an. Hier werden auch Führungen angeboten. Auf eigene Faust die Höhlen zu entdecken, ist nur Spezialisten geraten, denn in den weit verzweigten Gängen und übereinander lagernden Gesteinsschichten kann man sich leicht verlaufen.
Höhlen im Karstgebiet bei Sorbas
- Cueva del Agua (größte Höhle mit 8 km Länge)
- Cueva de Covadura (tiefste Höhle mit 120 m)
- Cueva del Yeso
- Cueva del Tesoro
Die maurisch geprägte Kleinstadt Sorbas liegt eindrucksvoll auf einem uralten ausgetrockneten Flussmäander des Rio Aguas. In Sorbas kann man im Heimat- und Höhlenmuseum interessante Informationen über die einmalige Karstlandschaft erfahren. Der Eintritt ist frei. So frei wie der Himmel von Almeria. Eine Gegend, die ihre wahren Schätze nur jenen offenbart, die sich ihr mit Neugier und Zeit nähern.