Wer sich noch keine Unterkunft für Ostern in der andalusischen Hauptstadt Sevilla gebucht hat, muss ein echter Glückspilz sein, um noch kurzfristig etwas zu finden. Denn Sevilla ist zur Semana Santa - den feierlichen Osterprozessionen während der Karwoche - ein Magnet für alle Andalusienfans.
Hundertausende Touristen und spanische Großfamilien kommen zusammen und wollen diese seit Jahrhunderten zelebrierten Osterumzüge, wie sie in den heiligen Städten Spaniens gefeiert werden, mit erleben. Allein nach Sevilla kommen etwa eine Million Menschen in der Osterwoche!
Warum Sevilla? Was macht die andalusische Hauptstadt zu Ostern so reizvoll?
Sevilla ist wohl die religiöseste Stadt Spaniens, wenn man seine vielen kleinen und großen Kirchen, Kapellen und die Kathedrale zusammenzählt. Mit seinen bunten, dicht besiedelten und lebendigen Stadtvierteln, wo die Nachbarn und Gemeinden größten Wert auf ihre liebevoll verehrten Heiligenfiguren legen, ist Ostern das wichtigste Fest im Jahr.
In den Seitenstraßen von Macarena findet man viele christliche Bruderschaften oder Kirchengemeinden, wo die Heiligenfiguren das ganze Jahr aufbewahrt und nun mitsamt ihrem Thron heraus auf die Straßen getragen werden. Zur Karwoche ist es endlich wieder soweit und der große Auftritt naht!
Während der Semana Santa wird jede Kirchgemeinde (Hermandad) in einer feierlichen Prozession ihre spezielle Heiligenfigur durch die Innenstadt tragen. Dem Thron folgen dabei die sogenannten Nazarenos, das sind Gemeindemitglieder, die mit spitzen Hüte und Büßergewändern umherlaufen und ein wenig an Kostüme des Klu-Klux-Klan erinnern. Sie sind wohl die auffälligsten Prozessionsmitglieder und ihre Verkleidung hat religiöse Motive.
Wer als Büßer bei der Prozession auftritt, will nicht erkannt werden und verdeckt sein Gesicht. Stundenlang prozessieren diese Gruppen aus Männern, Frauen und Kindern an mehreren Tagen im rhythmischen Gleichschritt hinter den zwei oder drei pasos (Thronen) hinterher. Die größten Hermandades bestehen aus bis zu 3000 Nazarenos.
Video von den Osterprozessionen in Sevilla
Die Figuren auf den Thronen sind verblüffend lebendig wirkende Statuen von Maria oder Jesus und auch bekannte Märtyrer aus der Bibel. Diese kunstvoll geschnitzten und bemalten Figuren sind echte Kunstwerke und zählen zu den Kulturschätzen der andalusischen Hauptstadt. Entsprechend vorsichtig und liebevoll wie Familienmitglieder werden sie behandelt.
Jede Jesusfigur sieht anders aus und stellt eine Szene aus den letzten Tagen von Jesus Christus dar – einige Mysterienbilder werden noch durch biblische Bösewichter wie römische Soldaten und Pontius Pilatus ergänzt.
Der Osterkult um die Prozessionen wird in der ganzen Stadt betrieben und ist Teil des Lebensalltags der katholischen Sevillanos. In Geschäften kann man die Figuren der Prozessionen sogar als Spielfiguren kaufen und sich zu Hause seine eigene kleine Osterprozession wie ein Krippenspiel aufbauen.
Bei den Prozessionen wird die Heilige Jungfrau Maria mit edlen und kunstvoll genähten Umhängen, die mit Goldspitze verziert sind, kostümiert. Diese Umhänge sind oft viele Jahrhunderte alt und werden sorgsam gepflegt und aufbewahrt, wenn die Heiligenfigur nicht gerade auf ihrem Thron unterwegs ist.
Mitunter werden monatelang vor den Osterfeierlichkeiten extra neue Gewänder genäht. Die Throne werden außerdem mit Gestecken und Sträußen aus duftenden Blumen und Kerzen geschmückt.
Wann findet nun genau welche Prozession in Sevilla statt?
Jeden Tag ab etwa 12.30 Uhr finden zur Osterzeit acht bis neun Prozessionen statt. Die ersten Umzüge beginnen am Palmsonntag (Domingo de Ramos), dem offiziellen Start der Semana Santa und enden am Ostersonntag (Domingo de Pascua).
Die ganze Stadt freut sich schon auf die Feierlichkeiten. Auf Balkonen werden Palmblätter angebracht. Die Sevillanos machen sich hübsch und flanieren in ihren besten Kleidern am Nachmittag durch die Stadt.
Jeder Prozessionszug verfolgt seine eigene festgelegte Strecke - der Thron wird zuerst aus der Pfarrkirche herausgetragen, dann zur Kathedrale von Sevilla gebracht und tritt dann die Rückreise an. Die Bruderschaften, deren Kirchen am weitesten von der Kathedrale entfernt sind, brauchen mitunter bis zu 14 Stunden für die gesamte Runde.
Alle Prozessionszeiten und Routen sind sorgfältig aufeinander abgestimmt, damit sie sich nicht über den Weg laufen und es zum Stau in den engen Gassen kommt. Mit bis zu neun gleichzeitig ablaufenden Prozessionen ist dies eine erstaunliche Leistung von den Logistikern der sevillanischen Osterfeiern!
Die geschmückten Throne werden von Männern getragen, die Costaleros heißen und das enorme Gewicht auf Genick oder Schultern tragen und mit korsettartigen Gürteln ausbalancieren. Bis zu 2000 Kilogramm schwer sind die Figuren mitsamt der Holzkonstruktion, auf der sie festgemacht sind.
Der Balanceakt ist eine enorme Gemeinschaftsleistung, bei der niemand aus dem Takt geraten darf. Zwischen 30 bis 50 Träger hieven die schweren Figuren auf ihren Schultern gleichzeitig hoch und prozessieren durch die ganze Innenstadt von Sevilla. Sie müssen regelmäßig Pausen einlegen, um sich nicht zu verausgaben. So mancher macht auch eine wohlverdiente Bierpause entlang der Route, die oft auch durch beliebte Kneipenviertel verläuft. Dann übernimmt ein Compañero seine Rolle und später wird wieder gewechselt.
Begleitet werden die Prozessionen stets von sehr guten Blaskapellen, deren tragische Musik und Trommelwirbel für eine beeindruckende Akustik und Theatralik sorgen. Wenn dann noch eine Saeta - die klagenden Flamencolieder gesungen werden - muss man auch als unbeteiligter atheistischer Gast eine Träne verdrücken. Saetas sind besonders in Andalusien verbreitet und werden von Gitanas (Zigeunerfrauen) von einem Balkon herunter auf die Straße gesungen. Der Prozessionszug bleibt dann vor dem Haus stehen und alle lauschen den klagenden Liedern.
Wo sind die Prozessionen in Sevilla zu sehen?
Wer das Glück hat, eine Ferienwohnung mit Balkon oder Dachterrrasse entlang einer der offiziellen Prozessionsstrecken gemietet zu haben, also an der Calle Imagen, Calle Sierpes, der Plaza San Francisco, Avenida de la Constitucion - dann bietet die eigene Wohnung wohl den besten Blick auf das Spektakel. Hier hat man Platz und Ruhe und kann sich die Feier genüsslich anschauen ohne die Enge und Lautstärke auf den Straßen und Gassen. Doch dafür ist man eben nicht mittendrin im Getümmel, wo man sich von der feierlichen Stimmung doch mehr anstecken lassen kann.
Die Semana Santa ist für Sensible auch ein Nerventest, denn an sieben Tagen wird zwölf Stunden lang gefeiert. Für die Beteiligten sind diese Umzüge e echte Gedulds- und Kraftproben. Und nicht ohne Grund heißen die Feiern Passionsspiele, denn Passion - das spanische Wort für "Leidenschaft" - zeigt man zu Ostern überall und öffentlich. Schließlich soll das Leiden der Märtyrer und Heiligen in Erinnerung gerufen werden.
Wer wie die meisten Einheimischen in seinem Stadtviertel bleiben und nicht durch die ganze Stadt ziehen will, schließt sich am besten der jeweiligen Gemeindekirche an. Dann wartet man dort, bis sich die Prozession in Gang setzt (La Salida). Es ist sehr ergreifend, wenn die mit Blumen und Kleidern geschmückte Jungfrau das erste Mal aus dem Dunkel der Kirche in die Sonne tritt und frenetisch gefeiert wird. Die Leute werfen Konfetti und Blütenblätter auf den Weg, über den die Figur getragen wird.
Es lohnt sich, in Sevilla auch nach Einbruch der Dunkelheit lange wach zu bleiben, denn viele Prozessionen starten am Abend und gehen die ganze Nacht hindurch. Start meist ab 19.30 Uhr bei Kerzenlicht. Die ernsten Nazarenos tragen mit ihren düsteren Verkleidungen und Hauben viel zur gespenstischen Atmosphäre bei.
Auch wirken die Statuen bei flackernden Kerzenlicht oft noch realistischer als am Tag, zumal die künstlichen Tränenperlen in den Augen der Jungfrauen aussehen als rollten sie tatsächlich herab. Ein beeindruckender optischer Effekt, den man einmal erlebt haben muss!
Ostern in Sevilla - was man wissen und beachten sollte
Die meisten Geschäfte sind während der gesamten Semana Santa nachmittags geschlossen. Gründonnerstag und Karfreitag sind nationale Feiertage. Läden, Büros und Banken und Museen sind geschlossen.
Bars und Restaurants sind natürlich geöffnet und können sich in der Karwoche vor erschöpften Besuchern und Beteiligten kaum retten. Bei dem einwöchigen Familienfest gehen die Familien lange und reichlich zusammen aus und belagern stundenlang die Gasträume. In der Osterzeit machen viele Wirte so viel Umsatz wie sonst nur in drei Wochen. Wer zwischendurch ein paar Tapas in Sevilla essen möchte, sollte dies dann am Besten frühzeitig, also gegen 20 Uhr tun, denn ab 21 Uhr wird es voll in den Bars.
Die besten Prozessionen in Sevilla
Gute Aussichtspunkte sind Balkone, größere Plätze und breite Alleen wie die Alameda (Monte-Sion) oder Plaza del Triunfo, wo alle Prozessionen aus der Kathedrale herauskommen; der Park La Paz am Sonntag und Santa Genoveva am Dienstag. Auch bei einem Spaziergang durch den Parque Maria Luisa ist praktisch, falls man mit Kindern unterwegs ist, da hier etwas mehr Platz ist.
Einige Prozessionen passieren auch die Plaza de Encarnacion, wo man auf den Stufen des berühmten Pilzes (Espacio Metropol Parasol) eine tolle Aussicht auf die Umzüge hat. San Roque und La Cena sind am Besten am Abend/Nachmittag des Palmsonntags; La Sed am Mittwochnachmittag - hierfür ist auch die Plaza de Pilatos gut geeignet; La Macarena ist empfehlenswert am Morgen des Karfreitags.
Wer eine Salida - Heraustreten aus der Kirche - sehen möchte, kann es mit der Bruderschaft San Benito (Dienstagnachmittag) versuchen. Die Träger müssen auf den Knien mitsamt Thron durch die Kirchtür rutschen, um hindurch zu passen. La Rendicion (Montag) ist lohnenswert, weil hier der Judas-Kuss verkörpert wird. Ein weiterer spektakulärer Höhepunkt sind die Prozessionen über die Triana-Brücke, die über den Fluss von Sevilla, den Guadalquivir führt: Esperanza de Triana (Freitagmorgen). Triana ist ein Stadtviertel von Sevilla, das sich auf der vom Zentrum abgewandten Seite des Flusses befindet.
La Madrugada gilt als der absolute Höhepunkt der Karwoche in Sevilla (Donnerstagnacht). Die berühmtesten und am meisten verehrten Jungfrauen-Figuren aus Sevilla - Macarena und La Esperanza de Triana - werden von den Einheimischen auf den Straßen leidenschaftlich empfangen, sobald sie auf ihren Thronen vorbeiwanken.
Sehenswert, weil völlig anders als die übrigen Prozessionen, ist El Silencio, weil diese mucksmäuschenstill und in der Dunkelheit stattfindet. Die oft im spanischen Fernsehen eingefangene Prozession El Gran Poder wird von einer der ältesten Hermandades aus Sevilla durchgeführt. Die Bruderschaft hat ihren Sitz im Stadtzentrum, wo auch eine Straße (Gran Poder) nach ihr benannt ist.
Wetter, Tipps zum Fotos machen und die richtige Bekleidung
Das Wetter ist zur Semana Santa in Südspanien leider sehr oft unstabil und es kann entweder brütend heiß oder stürmisch und regnerisch sein. Auch in Sevilla ist der April unberechenbar. Innerhalb weniger Minuten kann das Wetter umschlagen. Nehmen Sie einen Stadtplan, Trinkwasser und kleine Snacks mit.
Mehrere Schichten an Kleidung und bequeme Schuhe sind unbedingt empfehlenswert, denn man läuft und steht oft stundenlang auf der Straße herum. Bei den großen Menschenmengen und im Gedränge ist es ratsam, seine Wertsachen besser in der Ferienwohnung oder im Hotel zu lassen.
Bei Regen werden viele Prozessionen abgesagt, weil man die kostbaren Statuen nicht beschädigen will. Allerdings dauert es oft Stunden, bis man sich zu einer wirklichen Absage durchringen kann. Manchmal werden die blumengeschmückten Throne auch spontan mit durchsichtigen Folien abgedeckt, was nicht schön aussieht, aber vor größeren Schäden schützt.
Auch ein Reiseführer zur aktuellen Semana Santa mit Zeiten und Orten der Prozessionen ist sehr nützlich. Diese Informationen sind gratis und liegen meist im Tourismusbüro, Bars, Geschäften aus oder werden von den Lokalzeitungen in Sevilla mitgeliefert. Darin sind die genauen Routen und (ungefähren) Startzeiten jeder Prozession aufgelistet.
Schauen Sie sich die Stadtkarte genau an, um den Nachmittag gut zu planen. Auch die Farben der Gewänder, die von jeder Bruderschaft getragen werden, ist hier abgedruckt und eine Beschreibung der Bilder.
Eine genaue Liste der Prozessionszeiten jeder Hermandad finden Sie hier. Nützliche Apps sind iLlamador vom Fernsehsender Canal Sur oder vom lokalen Fernsehen Giralda TV über iSemana Santa.
Die Karwoche sollte man auf jeden Fall auf vielen Fotos festhalten, die später zu Hause betrachtet wie Relikte aus einer anderen Welt wirken. Mittendrin scheint alles ganz normal, doch wer Andalusien wieder verlassen hat, glaubt, er sei aus einem Traum erwacht. Das gilt besonders für die Semana Santa - ein Festival der Illusionen und Leidenschaften. Laden Sie die Kamera oder Smartphone vorher vollständig auf.
Übrigens wird Jesus Christus in Sevilla wie ein Volksheld und Märtyrer verehrt. Auf Flohmärkten verkauft man sogar Fahndungsbilder von ihm. Gesucht: Jesus! Der Erlöser.